Nach 9 Monaten ohne Urlaub (verlängerte freie Wochenenden sind qua definitionem kein Urlaub!) war es Zeit für einen Tapetenwechsel. Aus verschiedenen Gründen, die hier auf keinen Fall näher betrachtet werden sollen, fiel die Wahl auf Österreich und die (nähere) Umgebung von Wien.
Wien selbst habe ich verweigert, auf Grund diverser Besuche in den letzten 2 Jahren. Irgendwann empfindet man die vielen Touristen im 1. Bezirk einfach nur noch als störend.
So hat mein travelsoulmate also viel Zeit und Mühe in eine intensive Internetrecherche gesteckt, wie wir mit möglichst kleinem Geld maximalen Erlebniswert aus 5 gemeinsamen Tagen Bergurlaub ziehen. Diese Vorgabe kann, trotz erschwerter Umstände, als SEHR gelungen bezeichnet werden.
Los ging´s mit der AUA, diesmal ab Hamburg. Freitag gegen 11 Uhr abends kreuzte ich in Wien Meidling (mit L, wie ich auf der Reise gelernt habe!) auf und nach einer kurzen Nacht ging es gen Süden.
Hier ist der Einschub erwähnenswert, mit welch stoischer Gelassenheit manche Menschen auf Reisen gehen. Meine neue Hedgren-Reisetasche (in silbergrau, Modell kann ich sehr empfehlen) machte die Mitreisende Wahlwienerin ein wenig narrisch. Offensichtlich vermutete sie, ich könne zu viel Gepäck, sie allerdings zu wenig mit auf diesen Ausflug nehmen, der 4 Tage dauern sollte. So gesellte sich statt des erst geplanten Rucksacks eine schwarze Reisetasche von Eastpack dazu. Diese wird in Memmingen als Kindersarg ob ihrer Farbe und der ausladenden Größe bezeichnet. Ein wenig stimmt die makabere Beschreibung. Es soll an dieser Stelle erwähnt werden, dass das Reisegepäck eigentlich nie zu groß sein kann. Das ist wie mit großen Töpfen, in denen man auch kleine Gerichte kochen kann. Was mich viel mehr schockierte: diese Tasche war leer. Zur Wiederholung: Freitag, 23 Uhr, leere Tasche und Samstag, viertel vor 9 soll die Reise losgehen. Das ist meine Konfrontationstherapie. Es ist nicht so, dass ich bei Reisen auch nur irgendwie Zeit verschwende, in Europa kann man schon, wie ich es getan habe, bis 15 Uhr im Büro bleiben, mit der Bahn nach Hamburg fahren, in einen Airbus der AUA steigen und spät am Abend am Bestimmungsort ankommen. Aber bis 23 Uhr arbeiten, dann Tasche packen und am nächsten Morgen gut gelaunt zum Zug aufbrechen, nötigt mir schon Respekt ab.
Die Reise hatte ein bisschen was von Reisen in den 90th. Ich hatte meinen Laptop daheim gelassen, Doreen nahm ihren ebenfalls nicht mit und da auch der Drucker in Meidling (mit L!) nicht so recht wollte, war die Informationsdichte eher gering, und so fragten wir uns durch. Herr Kovacz an der Bahnhofsauskunft in Wiener Neustadt sollte unser erstes Opfer werden.
Die Zugfahrt verlief dank eines sehr kommunikativen Endachzigers, der im Zug neben uns saß und extrem mitteilsam war (wir tauften ihn Herbert), rasend schnell. Herbert erzählte uns von den Truppenverläufen im 2. Weltkrieg rund um Wien, wir erfuhren, wo der Marmor für Hitlers Prachtbauten abgebaut wurde, welche Not Niederösterreichische Kohlebergleute nach der Schließung des Kohlebergwerks erlitten und schließlich auch noch, wo Gips für Rigips-Platten nahe Puchberg abgebaut wird. Dann bekamen wir für unseren Ausflug am Nachmittag noch allerlei Tipps, worauf wir in der Nähe Puchbergs achten sollten. Anfangs war das ganz nett, ziemlich schnell überforderte uns aber die Informationsdichte und mit verschiedenen Strategien versuchten wir den Brunn des Wissens zum Versiegen zu bringen. Es war uns nicht möglich, erst am Bahnhof von Puchberg verabschiedeten wir uns, nicht ohne zu erfahren, welche Pläne Herbert heute Nachmittag noch hat. Und eine kurze, aber sehr profunde Einweisung in die örtliche Infrastruktur bekamen wir auch noch.
Standort in Puchberg, das Wellnesshotel Wanzenböck, dass wir v.a. deshalb ausgewählt hatten, weil der Internetauftritt schlank und schön dot at so ansprechend war. Insgesamt kann ich das Hotel sehr empfehlen. Herzliche Inhaber, gutes Essen (auch wenn die Definition eines Tsatsikis weit von der landläufig bekannten abwich), schöner Wellnessbereich und rustikale Zimmer. Erwähnenswert ist an dieser Stelle das Badezimmer. Die Größe von 2x2 Meter könnte etwas kritisch werden, wenn man zu zweit ein Zimmer bezieht. Das Badezimmer war aus einem Guss. Druckguss Hartplastik in einem orange – sagenhaft. Die Wanne ging in die Wand über, Ecken gab es nicht, dafür Rundkehlen, die aus GMP-Sicht auch viel besser weil besser reinigbar sind. Doreen hatte eines Abends eine Biene in ihrem Zimmer. Da sie das arme Tier am Leben lassen wollte, die Biene aber nicht aus dem Zimmer wollte, bestand die Lösung darin, alles Licht im Zimmer auszuschalten und nur im Badezimmer Licht anzulassen. Die Biene flog direkt ins orange-farbene Paradies, wahrscheinlich vermutete sie eine Ansammlung von Gerberas dort. Es war nur Plastik, aber die Biene hatte bestimmt ihren Spass. Tür zu und alle Beteiligten hatten Ruh.
Nach dem check-in blieben uns 20 Minuten zur Akklimatisierung, dann mussten wir über den Kneipp-Pfad zurück zum Bahnhof, denn der Bus, der uns zum Sessellift bringen sollte, fuhr um genau 12.40 Uhr ab, erst 3 Stunden später wäre dann die nächste Möglichkeit bestanden. An der Bushaltestelle angekommen fuhr der erste Bus erstmal an uns vorbei, ein zweiter sollte nicht unser Ziel anfahren und im dritten Bus … winkte uns Herbert aus dem Zug als einziger Fahrgast, vorn rechts neben dem Busfahrer zu. Hier galt es zu handeln, wir winkten vergnügt zurück, zahlten beim Busfahrer und setzten uns demonstrativ in den hinteren Teil des leeren Busses, um nur genug Abstand zu Herbert zu wahren.
Der stieg irgendwann aus, großes Abschiedswinken, wir brachen schließlich zu unserer ersten Wanderung auf. Den Aufstieg verkürzte der Lift. Dann ging es erst relativ eben und dann im steilen Abstieg durch den Bergwald zur Mammauwiese. Landschaftlich sehr schön gelegen, im Hintergrund die Felsabbrüche des Schneebergs. Natürlich haben wir zig Fotos gemacht, von der Landschaft und den reichlich vorhandenen Kühen. Eine Kuh war nicht so fotogen und zeigte das auch sehr deutlich, als sie nach dem Shooting auf mich zukam und mich erstmal kräftig an- aber nicht umrannte.
Da wir spät aufgebrochen waren, wurden wir an der Hütte auf der Mammauwiese Opfer einer geschlossenen Gesellschaft und nahmen nur noch ein kleines Essen ein, um dann über den Wasserfallweg zurück Richtung Puchberg abzusteigen. Die Beschilderung des Wasserfallweges lässt etwas zu wünschen übrig, schließlich fanden wir aber unser nächstes Ziel und nach kurzer Rast und dem Bestaunen diverser Klettergruppen ging es über den Wasserfallwirt, bei dem wir aus Zeitnot nicht einkehrten (meine Vernunft siegte), zurück zur Straße, wo wir erstmal den Busfahrplan checkten. Dabei hielt ein Mittelklassewagen an und dessen Fahrer meinte zu uns, wir sollen einsteigen. Drinnen saß ein Mann um die 70 (spätestens hier fragten wir uns, was uns für diese Altersgruppe so anziehend macht), der sich als Herbert vorstellte. (Der 1. Herbert hatte sich nicht vorgestellt, wir nannten ihn nur einfach auch so!) Herbert stand in Kommunikationsfreude der Bekanntschaft aus dem Zug in nichts nach und zeigte uns, als wir schließlich in Puchberg ankamen, gleich noch ein paar Objekte, die zum Verkauf anstanden, denn Herbert "macht in Immobilien". Zwischenzeitlich stieg er auch noch immer mal aus, um sichtlich verwirrte Einwohnerinnen (die am Pool vor ihrem Haus lagen, oder gerade Autowäsche betrieben) mit Handschlag zu begrüßen. Das war wirklich scary, schließlich ließ er uns aber am Bahnhof raus, nicht ohne uns befragt zu haben, woher wir kommen, was wir beruflich machen, was wir hier wollen usw. mit dem Ergebnis, dass Doreen ihren ersten Immobilienauftrag ohne eigenes Zutun an Land gezogen hatte. Es galt und gilt die Inhaber eines Anwesens ausfindig zu machen, ihnen selbiges für möglichst kleines Geld abzukaufen und dann mit viel Gewinn zu verkaufen. Good luck, travelsoulmate!!!
Am nächsten Tag stand die Fahrt mit dem Salamander auf den Schneeberg an. Und gleichzeitig ein kulinarischer Marathon. Nach 40 Minuten in dieser engen Zahnradbahn ist, glaub ich, jeder Reisende mit dem Salamander froh, aussteigen zu können. An der Buchtlstation Baumgartner ist das möglich um Buchtln zu kaufen. Die gibt es gefüllt mir Vanille, Powidl und Marille. Wir probierten alle drei Sorten mit dem Ergebnis, dass diese Buchtln völlig überbewertet werden. Nach 10 Minuten Aufenthalt fährt der Salamander dann auch weitere 15 Minuten bis zur Gipfelstation und dann ging eine erst etwas mühsame Wanderung auf den höchsten Punkt Niederösterreichs – das Klosterwappen – los. Nach einem Aufstieg, der durchaus zu bewältigen war, dann die Einkehr in eine völlig überfüllte Hütte. Zur Stärkung gabs Biolinsen mit Knödln und für mich einen gebackenen Leberkäs mit Erdäpfelpüree und Gürkl.
Der Abstieg ging schneller als gedacht und so war noch Zeit und Kraft für einen 2. Gipfel am Tag. Danach hieß es erneut einkehren (der Topfnstrudel war sehr fein!) am Damböckhaus und schließlich ging es nach der Besichtigung des Elisabeth-Kirchleins mit dem Salamander wieder retour nach Puchberg. Unsere Vermieterin meinte, als wir am Abend zurückkamen: "Ihr seids tüchtig!" Stimmt.
Denn nach dem Abendessen nutzten wir allabendlich den verwaisten Wellnessbereich des Hotels, wobei mir der Pool reichte, Doreen aber fleißig saunierte, erst ohne, später mit Aufguss.
Der nächste Tag führte uns vor Augen, wie man in den 90th reiste. Ohne Internet war nicht rauszubekommen, wie die Bahnfahrt zum Semmering wohl ablaufen sollte. Von Puchberg nach Wiener Neustadt (vorbei am Gipsabbau, dem verlassenen Kohlebergwerk, der alten Schule, den Marmorbrüchen aus dem 3. Reich) kannten wir uns aus, dann befragten wir auf dem Bahnsteig in Wiener Neustadt einen netten Zugbegleiter, der meinte, er fährt mit dem EC Richtung Semmering, worauf ihn Doreen ins Wort fiel und meinte: „und für uns würden Sie da heute einen Stop einlegen?“ "Crazy tourist", dachte sich bestimmt der Schaffner und verneinte, worauf wir zu Herrn Kovacz in die Information gingen. Der musste nicht nur sämtliche Verbindungen zum Semmering ausdrucken, nein, wir informierten uns, wo noch genug Zeit war und wir gerade auch mal da waren, auch gleich noch, wie der morgige Tag, wo wir zur Raxseilbahn wollten, denn logistisch ablaufen könne. Mit stoischer Ruhe eines Bahnbeamten ließ der arme Herr Kovacz alle Fragen über sich ergehen.
Der Semmering ist schnell abgehandelt. Das Wetter war ein wenig kritisch, es sollte am Nachmittag Regen geben, sodass wir uns gegen eine ausgiebige Wanderung entschieden. Wir besichtigten die Erwin Pröll Gedächtniswarte, der Landeshauptmann Niederösterreichs, der nach eigenen Angaben noch nie ein Buch gelesen hat (und darauf scheinbar auch noch stolz ist) und kehrten an der Bergstation im Gasthaus ein, um Bergkäse, Spareribs und die weltbeste Bananenschnitte zu verkosten. Die Bananenschnitte verdient Erwähnung, sie ist wirklich extrem gut.
Für den Abstieg vom Berg entschieden wir uns für die Konfrontationstherapie: wir wanderten nicht, nahmen auch nicht die Bergbahn, nein Monsterroller sollten uns nach unten bringen und taten das auch. Nachdem wir einen Helm gestellt bekamen (ein völlig unzureichende Sicherheitsmaßnahme, wie sich bei mir noch rausstellen sollte) und kurz in die Roller eingewiesen wurden, stiegen wir auf um relativ schnell festzustellen, dass wir beide als die ersten Touristen in die Geschichte der Semmering-Monster-Roller eingehen sollten, die ihre Roller zu Tal schoben. Nach und nach wurden wir aber mutiger und nahmen, unterbrochen durch Fotostopps und Verschnaufpausen zum Adrenalinabbau hinter den ganz steilen Stellen, Fahrt auf. Hinter der Enzianhütte, schon in Zielnähe, warnten Schilder mit der Aufschrift „slow“ vor heiklen Stellen, die wir aber schon viel heikler weiter oben am Berg gemeistert hatten. Und dann passierte es: an einer besonders heiklen Stelle mit viel zu viel Speed (an die Mitreisende der Hinweis, die wahren Umstände nie Preis zu geben!!!) überschlug ich mich, stürzte über den Lenker und stellte fest, dass eine vernünftige Reiseapotheke doch aus Verbandmaterial bestehen muss. Gott sei Dank war Doreen vorbereitet und konnte mir mit Hansaplast extreme Klebkraft aushelfen. An alle Kollegen, die dieses Produkt in ihrem Sortiment führen: sofortiger Umtausch und Geld zurückgeben lassen. So eine schlechte Klebewirkung hatte ich noch bei keinem Pflaster. Und es handelte sich um Neuware mit Ablaufdatum 2013. Monsterrollerfahren ist trotzdem eine Erfahrung, die man(n) mal gemacht haben muss.
Nach einer weiteren Wanderung am letzten Bergtag über die Raxalpe, die lang war, ging schließlich der Kurzurlaub zu Ende. Nicht ohne kulinarische Höhepunkte, die Erwähnung verdienen: das ist zum einen der Jägereintopf am Ottohaus und zum anderen der Stapler in Wien Meidling (mit L!). Ehrliche und sehr gute südtiroler Küche.
An dieser Stelle muss ich der Vollständigkeit halber noch die Niederösterreich-Card erwähnen. Mit ihr bekommt man freien Zutritt zu allen genannten Bergbahnen (und auch zu den Monsterrollern!) Rabatt auf die Bahnfahrten mit der ÖBB, Eintritt in eine riesige Anzahl von Museen und Sehenswürdigkeiten in ganz Niederösterreich und Wien. 49 € kostet das Kärtchen, gilt ein Jahr und hat sich schon in unseren 5 Tagen total schnell gerechnet. Auch, weil ich am Heimreisetag noch die sehr sehenswerte Nationalbibliothek in Wien besuchte, die ich bis dato immer ausließ. Der Prunksaal ist wirklich sehenswert und prächtig barock.
Am Ende bleibt festzuhalten, dass ich also auch für Aktiv-Urlaube in den Bergen zu haben bin, wenn das Essen stimmt. Allerdings war ich froh, dass ich nach den 5 Tagen noch 4 Tage frei hatte, bei dem dicht gepackten Programm (jeden Tag mind. 11 Stunden auf Achse plus allabendlicher Wellnessmarathon). Für das nächste gemeinsame Projekt Kykladenhüpfen werde ich das bedenken. ;-)