Der Tag begann früh, sehr früh im Urlaub. 5.15 Uhr wecken, 6 Uhr Abfahrt mit der Rikscha zum Bahnhof 7 Uhr ging der Zug. Er kam 7.03 Uhr an, soviel zur Pünktlichkeit indischer Züge. Allerdings sind die Züge im Süden auch noch nicht lang unterwegs. Auf dem Bahnhof waren die beiden deutschen Touristen mit ihren rieeesigen Rollkoffern die Attraktion. Als Doreen ihr im Internet erstandenes Ticket einem Bahnmitarbeiter unter die Nase hielt, konnte der gar nicht glauben, dass wir an so ein Ticket gekommen sind. Ja, Hartnäckigkeit zahlt sich aus, wir haben ja auch nur 52 Stunden und 12 Emails mit einem Callcenter in Mumbai dafür gebraucht. Doreen ist übrigens zur Expertin für Zugfahren in Indien geworden. Wir saßen im klimatisierten Wagen C1, was ich als coach 1 deutete und deshalb in die Zone des gefühlt einen Kilometer langen Bahnsteigs eilte, wo mit blauer Schrift auf gelben Grund engine coach Nr. 1 gestanden war. Da sich dort aber auch erstaunlich viele Inder versammelten, schwante Doreen, hier könnten wir falsch sein und nach einigem Smalltalk mit Polizisten, die sie zum Station-Manager brachten, sah sie, dass diese Wagenhaltestellen nur Orientierungspunkte sind, die man mit einer weiteren Liste „entschlüsseln“ muss. Am Ende fanden wir auf Anhieb unseren Wagen, wurden gleich von einem Schaffner, dessen goldene Brille mit seinem dunklen Sacko harmonierte und mir eindringlich in Erinnerung blieb, denn so sehen für mich Schaffner aus, erwartet und der kam auch mit unserem Ticket klar. Unsere Entscheidung, nicht 3. Klasse zu fahren und v.a. klimatisiert zu reisen, war richtig gut.

Im Wagen waren wir die Attraktion. Niemand hatte wohl hier mit 2 blonden Touristen gerechnet. Gespannt wurde jede Bewegung mit freundlichen, aber neugierigen Blicken verfolgt. Am meisten grotesk wirkten wohl unsere riesigen Reisetaschen. Mit Müh und Not bekamen wir die durch den Mittelgang und das Hochwuchten auf die Ablage, denn im Gegensatz zu deutschen Zügen gab es KEINE andere Ablagemöglichkeit, das war also die nächste Attraktion. Nachdem wir mit einer Inderin, ihrer Tochter und einem weiteren alten Inder klar gemacht haben, wer wo sitzt (deutsche Korrektheit muss schon sein. ;-)) Endlich konnten wir also in unsere braunen kunstlederbezogenen Sitze sinken und waren nicht mehr vom ganzen Großraumwagon aus einsehbar. Dann ging eine anfangs interessante Zugfahrt los: im minütlichen Abstand kam das Catering durch den Wagen: Massala-Chai, Coffee, Marsala dosa und andere für uns nur schwer identifizierbare Gerichte wurden auf dem Kopf balancierend feil geboten. Dabei hatte jeder Service-Mitarbeiter spezielle Produkte, sodass es nicht möglich war, chai und Essen bei einer Person zu verkaufen. Mangosaft in Flaschen und Wasser gab es auch. Wir hielten uns an die tags zuvor in den Backwaters gekauften Bananen und das noch reichlich vorhandene Wasser.

Mit nur knapp 20 Minuten Verspätung erreichten wir Ernakulam und ich bekam das erste Mal mit, dass deutsche Kreditkarten wirklich nicht überall funktionieren. Am Bahnhof hatte ich an der ATM zumindest keinen Erfolg. Wir müssen schon wieder aufgefallen sein, denn die Taxis bekam man (zu einem Festpreis) nur, wenn man sich an einen Schalter anstellte und dort brav bezahlte. Wir kamen nicht mal in die Nähe dieses Schalters, kaum verließen wir das Bahnhofsgebäude, lotste uns ein verhältnismäßig gut englisch sprechender Inder zu einem Taxifahrer. Nach anfangs etwas zähen Verhandlungen haben wir schließlich für einen Aufpreis von 200 Rupien direkt ein klimatisiertes Taxi bekommen. Wir werden besser im Feilschen. Am Ende gab es doch noch ein Trinkgeld von 100 Rupien oben drauf, nachdem ich erst im Stillen und dann in lauter durch Doreen angeregter Diskussion dazu ermuntert wurde.

Unser Hotel hier ist toll. Es hat alles, was man von einem Hotel auch in Europa erwartet, inklusive Klimaanlage, die ich gerade sehr genieße, denn gestern Abend hat es geregnet und draußen ist es heiß und schwül wie man es sich nur schwer vorstellen kann. Auch diese Mischung aus Budget-Unterkünften und Komfort macht die Reise wirklich erträglich, „Probleme“, wie wir sie vorher von Freunden und Bekannten berichtet bekommen haben, gibt es noch nicht zu vermelden.

Nach einem stärkenden Butter-Paneer-Massala mit einem Brot, dessen Namen ich mir nicht gemerkt habe, ging es eine Runde durch Fort Cochi. Sehenswert, touristisch extrem erschlossen, aber gut.

Abendessen gab es in einem Straßenrestaurant zwischen Trekkern, Touristen und Indern: Fish-Tikka und Chicken-Tikka. Wir hatten erstmals cheese-Naan, das können wir beide sehr empfehlen.

Und danach ging der Silvesterabend los: das kann man nur schwer beschreiben. Gefühlt war die ganze Stadt auf den Beinen: es gab Karaoke, auf den Plätzen schaukelten Kinder, Jugendliche tröteten in zuvor gekaufte Plastikinstrumente, die Töne klangen wir fernes Elefanten-Tröten gepaart mit Wolfsheulen. Am zentralen Platz am Ende der Kaimauern spielte eine indische Kapelle, die Szene erinnerte mich an „In 80 Tagen um die Welt“, kurz bevor die junge Inderin dem Kali-Opfer entführt wurde. Immer mehr, zumeist jugendliche Männer strömten zu diesem Platz, auf dem auch ein aus Stroh (und Plastikmüll?) errichteter Santa Claus stand, der um Mitternacht dem Scheiterhaufen zum Opfer fallen sollte. Das haben wir nicht miterlebt, weil die Massen unglaublich waren, die immer mehr und mehr dorthin drängten. Der Frauenanteil lag gefühlt bei 3% und außer Gucken wurde der ein oder andere Inder auch gegenüber westlichen Touristinnen aufdringlich. Ein Zuckerrohrgesöff, dass wohl mit Alkohol angereichert wurde, war den sonst alkoholentsagenden Hindus vermutlich zu Kopf gestiegen. Wir stießen mit einer Sprite, denn in ganz Kochi gab es keinen Alkohol aufzutreiben (außer in Form eines glühweinartigen ayurvedischen Getränks und den Zusätzen zum Zuckerrohr) alkoholfrei auf das neue Jahr an, schauten ein paar Raketen, die in den Himmel flogen, zu, und waren recht bald im Bett. Gerade rechtzeitig, denn als ich müde aufs Bett fiel, ging ein Regen los, wie in den Tropen eben. Shiva hat wohl die aufgeputschten Leiber der feiernden jungen Inder erstmal abkühlen wollen.