Auf nach Chile
Nach knapp 4 Stunden Busfahrt, die öffentlichen Busse in Argentinien sind für Europäer wohl noch preiswert und gut ausgestattet, biegt der Bus irgendwann auf eine ungeteerte Straße ab und man denkt: da kommt nichts mehr. Kommt doch was: man erreicht die argentinische Seite der Grenze, mitten im Nirgendwo. Alle raus aus dem Bus (50 Leute), Ausreisestempel abholen, alle wieder rein in den Bus. Dann fährt man eine gute viertel Stunde und die chilenische Prozedur geht los. Sie ist der Grenze zwischen Kanada und den USA vergleichbar. Alle und alles Gepäck raus aus dem Bus, Einreisestempel abholen. Dann das allerwichtigste: die Erklärung zu den eingeführten Lebensmitteln. Direkt nach der Grenze ging es für uns in den Nationalpark zum Trekking, natürlich muss man da für die Brotzeit am Mittag das ein oder andere mitnehmen. Chile hat quasi Inselstatus hinter den Anden. Die Reblaus ist dort noch unbekannt, die dortigen Weine sitzen noch auf den ursprünglichen Reben und sind nicht gepfropft. Nur ein Beispiel, warum eine gewisse Paranoia den chilenischen Staat umtreibt und sämtliches Handgepäck genauestens durchleuchtet wird. Keine frischen Waren, Obst, Gemüse oder Fleisch. Seuchengefahr. Beim Hauptgepäck hatten wir Glück, schlaue Labradore waren da und haben den Job übernommen, aufwändiges maschinelles Durchleuchten war nicht nötig. Ein Koffer in unserer Gruppe wurde genauer betrachtet, dann aber als ungefährlich eingestuft. Die französische Gruppe, die hinter uns saß, hat fröhlich im Bus berichtet, dass ihr heutiges Mittagessen mit Äpfeln und Orangen aufgepeppt werde, das war vor dem chilenischen Einreiseprozedere. Alle wieder rein in den Bus, als wir lebensmittelsicher waren und nach genau 10 Metern, also hinterm Schlagbaum, stiegen die Deutschen wieder aus, ein Privattransport führte uns in den Nationalpark Torres del Paine. Ein bisschen blöd bei dieser Reise ist, dass man auf Grund der Routenführung nur eine Möglichkeit hat, chilenisches Bargeld zu beziehen, an der Grenze in einem Kaffee. Ich habe in Indien schon in Teppichgeschäften, quasi auf der Straße, getauscht, da bin ich ja nicht fies. Der Kurs war allerdings nicht besonders gut (er war auch nicht schlecht!), aber die dicke Chilenin hinter der Theke weiß offenbar um ihre Monopolstellung. Kreditkarten gingen diesmal tatsächlich auf allen Hütten des W-Treks, zuverlässig ist diese Geldquelle aber nicht, einzig US-Dollar nehmen die Chilenen sehr gern, aber der Kurs ist auch miserabel. Eine ATM ist zwischen Grenze und Nationalpark nicht existent, ein Umweg zum Geldziehen von 4 Stunden Fahrtzeit nicht sinnvoll. So macht man Kompromisse.
Auf jeden Fall kamen wir am Nachmittag kurz vorm Regen im Refugio Torres Norte an. Das ist nicht die einzige Hütte im nördlichen Zugang zum Nationalpark, in Laufweite liegt ein Hotel, 100 m neben dem Refugio eine viel größere Hütte, in der auch die Verpflegung erfolgt. Zu den Hütten im Allgemeinen: ich habe selten so viel Geld für so „wenig“ Service bezahlt. Überall gibt es Duschen, die im Torres Norte und auf der Grey Hütte, am Ende des Treks, sogar Alpenvereinshüttenniveau haben. Schlafsäcke wurden gestellt und hielten uns auch warm, sonst ist der Service recht überschaubar. Bier gibt’s zu Preisen, die man auch zwischen Oslo und Stockholm zahlen würde, Wein im Tetrapack – er ist trinkbar - ist die ökonomischste Variante sich nach dem Trek zu belohnen. 8000 chilenische Pesos der Literpack, das habe ich gerade tagesaktuell umgerechnet: 11,36 €. Eine Fanta/Cola/Sprite ist zwischen 2000 und 3000 chilenischen Pesos zu haben. Die 5 Hütten haben Monopolstellung, die Landschaft ist ein Wahnsinn und so zahlt der Tourist. Außer auf Hütten zu übernachten, besteht die Möglichkeit zu campen. Für mich keine Option, auch des Wetters wegen. Dazu gleich mehr.
Der erste Abend bestand darin, sich daran zu gewöhnen, dass die Privatsphäre auf 2 qm zusammen geschrumpft ist und man sich die Stube mit 5, teils gar 7 Mitreisenden teilt. Das ging besser als gedacht, auch die Schnarchkulisse war in den 5 Nächten erträglich, aber vorhanden. Eigentlich gibt es abends ein Menü, das aus einer Vorsuppe, einem Hauptgericht und einem kleinen Dessert besteht. In den ersten 3 Hütten, die zu Fantastico Sur gehören, kostet dieses Vergnügen 20.000 Pesos (28,40€), in den letzten beiden Hütten „nur“ noch 13.000 Pesos, dafür sind die Weinpreise dort höher, am Ende kommt der Abend aufs gleiche raus. Schmackhaft war es, keine kulinarische Offenbarung. Mal gab es Lachs, mal Chicken und einmal ein Schweinekotlett mit Paprika und Polenta. Nur am ersten Abend gabs Pizza, kein Menü. Menüs müssen vorbestellt werden, das geht allerdings nur, indem man in der Hütte am Vorabend an der Rezeption die Bestellung für den NÄCHSTEN Abend abgibt. Einmal am Tag kommunizieren die Hütten via Email, sonst gibt’s nur Satelittentelefon für den Notfall. Muss man wissen, ist alles etwas kompliziert, da kommt man aber rein. Den Altersschnitt auf dem Trek habe ich fast gehoben, es war unwahrscheinlich viel junges Volk unterwegs. Entsprechend laut war die Musik, Abendessen bei Diskofeeling, yeah. ;-)
Unser 2 Hüttentag war der erste Trekkingtag und gleich das Highlight. Los ging es 2 Stunden bergauf mit vollem Gepäck. Ich hatte auf 8 kg gepackt, trug ja noch Lebensmittel für 5 Mittagessen mit mir rum. Andere müssen deutlich mehr mitgenommen haben, was ich allein an der Größe und Fülle der Kosmetika extrapolieren konnte. Dann konnten wir das schwere Gepäck in der Chileno-Hütte, die auch Nachtquartier war, lassen und mit Fotoapparat und Regenkleidung zu den Torres del Paine – den blauen Bergen – „sprinten“. Das ist durchaus wörtlich zu nehmen: Sabine (die meine Mutter sein könnte, wie sie meinte) und ich lieferten uns einen Wettlauf quasi gegen das Wetter, wir wollten diese Torres im Sonnenschein denn wir waren bei Nieselregen zur Hütte aufgestiegen, für die Mittagstunden war besseres Wetter angesagt. 2 Stunden schreibt der Führer für den Aufstieg ab Hütte, erst Waldweg, dann steil bergauf, teilweise durch Bachbetten. In 90 Minuten waren wir oben: wolkig! Ich habe diese Berge tatsächlich total gesehen. Wahnsinn. Sie sind wunderschön, allein deshalb, weil man bis ans Ende der Welt fahren muss, um sie zu sehen. Wer vergleicht, nicht so viel Geld ausgeben will oder einfach den Aufstieg scheut, der knackig ist: es gibt eine gewisse (nicht totale) Ähnlichkeit zu den Drei Zinnen. Da kann man prima bis zur Auronzohütte mit dem Auto fahren und auf den Auslöser der Kamera drücken.
Trockenen Fußes kamen wir zur Hütte zurück. Die ist ziemlich klein. Zuerst einmal: dort gibt es keine Doppelstockbetten, es gibt Triplestockbetten. 3 Pritschen übereinander. Ich ging in den dritten Stock, meine Eltern werden sich an den Urlaub in Kelbra erinnern. Die Sicherungsmaßnahmen waren vergleichbar, irgendwelche Rausfallverhinderungshilfen gab es gleich gar nicht, 4 Meter über Boden galt es also, die Nacht zu verbringen. Die erste Nacht war wirklich ziemlich verrückt, jedoch habe ich mich schnell daran gewöhnt, in der nächsten Hütte gab es das gleiche Szenario erneute, dann allerdings mit minimalem Rausfallschutz. Beheizt sind die Zimmer in den Hütten nicht, und die Trockenbauwände gingen in der zweiten Hütte auch nicht bis zur Decke, über mir hätte ich mit anderen Bewohnern der Hütte, die in anderen 3. Stöcken lagen, Tauschgeschäfte durchführen können. Entsprechend „ruhig“ war die Nacht, ein paar Wanderer brechen jeden Morgen 3 Uhr auf um den spektakulären Sonnenaufgang an den Torres nach schweißtreibendem Aufstieg genießen zu können. Ich war bei deren Aufbruch live dabei!!! Ein bisschen gewöhnungsbedürftig waren auch die Sozialräume der Hütte. Es gibt 40 Sitzplätze im Speisesaal, der wurde aber in 2 Essensschichten doppelt genutzt, damit auch die Campenden vor der Tür gegen Einwurf barer Münze am Abendessen teilnehmen konnten. Während die Nicht-Hütten-Gäste an den Tischen saßen, stand den Hüttengästen (48 an der Zahl) ein Räumchen von 10 Sitzplätzen zur Verfügung, der Rest saß oder lag in den Betten. Jaja, das muss man mal mitmachen. Am Ende hatten wir Glück, dass die zweite Essensschicht nicht ausgebucht war und wir entsprechend schnell wieder als Gruppe an die Tische kamen, um Saboteur zu spielen. Ein Spiel, das auf Wanderungen stets gut ankommt.
Der nächste Wandertag war ein Sonnentag. Es ging zur Cuernos-Hütte, Hütte Nr. 3. An der gab es wenig auszusetzen, aber mittlerweile wurden auch die Ansprüche erträglicher. Vorbei an teilweise noch feuerrot blühenden Notro-Sträuchern über diverse Bäche und ohne Regen ging es gute 4 Stunden auf und ab. Beeren konnte man am Wegesrand auch finden und essen. Die Landschaft ist so wunderschön, auf der einen Seite ziemlich rau, auf der anderen wieder in tollem Licht Die Cuernos, die zweite markante Berggruppe des Nationalparks tauchten zu unserer Rechten auf und verließen uns ein paar Tage nicht mehr.
Am Lago Nordenskjöll entlang bei wolkigem Himmel startete auch der 3. Wandertag, der streckenmäßig der längste hätte werden können. Die Gruppe teilte sich morgens auf, ein Teil lief voraus, um bis zum letzten Aussichtpunkt im Valle Frances zu laufen. Das Valle Frances ist ein Tal zwischen den Cuernos und dem Paine Grande. Es ist wirklich wunderschön und sehenswert, vor allem aber bei gutem Wetter. Das verließ uns allerdings. Die ersten Fotos am Lago Nordenskjöll waren noch in der Sonne aufgenommen worden, selbige sahen wir dann für fast 2 Tage nicht mehr. Die insgesamt 25 Tageskilometer werden dadurch etwas leichter, dass man das Hauptgepäck im Campo Italiano liegen lassen kann, einem Campingplatz nach dem ersten Drittel zwischen den 2 Hütten, von dem der Weg ins Valle Frances abzweigt. Regenhülle drüber und mit leichtem Rucksack weiter. Da komme ich doch gleich mal zur Ausstattung. Danke nach Heidesheim für den Tipp mit dem Silk Daypack. Obwohl in ganz Magdeburg selbiger nicht zu erstehen war, habe ich einen Leichtrucksack – formUNschön – in Frankfurt Flughafen noch erstehen können. Der wird mich fortan begleiten. Und auch ein leichter, absolut regensicherer Cover für den Hauptwanderrucksack ist ratsam. Manche behalfen sich mit starker Folie, da gibt es sicherlich noch etwas Leichteres. Und Gamaschen werde ich erstehen, ungemein hilfreich auf Matschwegen.
Nach einem doch anspruchsvollen Aufstieg im Valle Frances zum ersten Mirador begann es zu regnen. Es ging über teils große Steinbrocken durch Bachläufe und dann und wann nicht nur unwegsam, sondern auch schlecht ausgeschildert ordentlich bergauf. Dann kam der Regen: ausgiebig, kalt, anhaltend. So wurden aus den 25 km etwa 20, denn ich hatte einfach keine Lust, zum 2. Mirador bis zum Ende des Tal zu laufen, nichts zu sehen und durchzuweichen. Der Abstieg durch anschwellende Bäche war noch ok, dann wurde die 2,5 h Regenwanderung aber schon zäh. Insbesondere wenn man an das Gepäck auf dem Rücken denkt. Hütte Nr. 4 war die Paine Grande, direkt am Katamarananleger am Lago Pehoe, riesengroß. Ich lief zusammen mit der schon eine Weile erkälteten Sabine ein, wir waren quasi die Vorhut. Nach und nach traf der Rest, noch durchnässter als wir, ein. Aber das rechte Maß an Bier bzw. Wein, eine heiße Dusche, die es auf allen Hütten gab und ein sättigendes Abendessen machten unser Schicksal erträglicher, denn alle feuchten Klamotten haben wir bis zum nächsten Morgen nicht trocknen können. Mein persönliches Highlight des Trekkings war der letzte Abschnitt, sozusagen der 2. Schenkel des W. Es ging zur Grey-Hütte am Grey-Gletscher. Hinwärts bei Regen, zurück erlebten wir auch noch, wie patagonischer Wind sein kann: stark und eiskalt. Die Grey-Hütte ist die modernste der Hütten, es wurde zwar nicht geheizt, aber sämtliche Thermokleidung, die ich reichlich mitführte, schaffte es, dass ich mich irgendwann warm fühlte. Nach einer Mittagsrast dann die letzten 5 km. Es ging durch Südbuchenwald, der teils mit Flechten behangen ist, über 2 Hängebrücken bis zum Grey-Gletscher. Auch der ist wunderschön, wenn auch nicht ganz so beeindruckend wie der Perito Moreno, einfach weil seine Gletscherzunge nicht so hoch ist. Im Lago Grey schwamm ein Eisberg, der in allen Blautönen schimmerte, riiiiesig war, und trotz der immer wieder aufgetretenen Regenschauer war die Stimmung wunderschön, fast mystisch. Am allerletzen Aussichtspunkt riss dann sogar für eine viertel Stunde der Himmel auf, sodass auch noch schöne Fotos entstehen konnten. Der Weg von und zur Grey-Hütte ist auch deshalb besonders, weil er der am wenigsten begangene ist und man durch unglaublich dichten Bestand von Fingerhüten, der nach Südamerika eingeschleppt wurde, kommt. Egal auf die rote oder die weiße Variante, veritable Exemplare konnte man als ganze Blumenwiese besichtigen. Wunderschön. Nach einer trockenen Rückwanderung zur Katamarananlegestelle, die wie schon geschrieben, sehr windig war, ging es mit dem Katamaran und anschließend mit einem Bus nach Puerto Natales.
Zu Puerto Natales gibt es wenig zu berichten. Ein eher kleines Städtchen mit wenig Highlights, das Essen dort war aber super und verdient Erwähnung. Es gab patagonischen Lachs, Avocado und frischen grünen Spargel und einen Limonenseufzer zum Nachtisch. Lecker.
Von Puerto Natales fährt man in gut 3 Stunden nach Punta Arenas, das ist die Stadt, die sich die größte südliche Großstadt der Erde nennen kann. Sie ist eher zweckmäßig aufgebaut, wirkliche Sehenswürdigkeiten gibt es nicht. Der Sandstrand – zumindest lässt ja der Name vermuten, dass es einen geben muss, ist bestimmt an 4 Tagen im Jahr, wenn es mal brütend heiß ist, bombastisch. Bei uns war es wolkig und die Temperaturen durchaus erträglich. Die Fahrt nach Punta Arenas war ganz interessant, bedingt durch die Küstennähe ist es in Chile viel grüner als in Argentinien, man sieht auch mehr Schafe, generell stelle ich aber fest, dass ich Chile als das ärmere Land empfinde. Dieser Eindruck verstärkte sich noch, als die Rückreise begann und wir mit einem Zwischenstopp in Puerto Montt in Santiago de Chile landeten. Der erste Eindruck: nach Kathmandu die Stadt mit dem meisten Smog, in der ich jemals war. Der Grund lag in Feuern, die sich die chilenische Küste entlang zogen, im Sommer normal sind, aber dieses Jahr irgendwie ausgeprägter auftreten. Auf dem Weg in die Stadt kamen wir an Siedlungen vorbei, die wohl schon die Bezeichnung Favelas verdienen. Vor allem Bolivianer, Peruaner und Haitianer ziehen nach Chile zu. Für sie gilt das Land als reich. Unser Hotel lag mitten im schönsten Viertel St. Lucia. Insgesamt habe ich mich auch in Santiago nicht unsicherer gefühlt, als in anderen Metropolen der Welt.
Beim Stadtrundgang am letzten Morgen haben wir einen sicherlich spärlichen Eindruck bekommen. Es gab gefühlt mehr Streetfood als in Buenos Aires, durch die ständigen Erdbeben, denen Chile ausgesetzt ist, ist das Stadtbild dafür weitgehend nichtssagend, weil koloniale Bauten fast vollständig fehlen und durch erdbebensichere Bauten nach und nach ersetzt werden. Einzig die Kathedrale hat mich beeindruckt und die Kirche San Francisco, die die wohl schönste Kassettendecke zu bieten hat, die ich seit langem sah. Mit dem Besuch Santiago de Chiles ging dieser Urlaub dann auch zu Ende. Schön war er, nächstes Mal würde ich beide Länder wohl individuell bereisen. Das Spanisch der Einwohner ist verständlich, mit Englisch kommt man zumindest in den touristischen Spots durch. Und unsicherer als Asien habe ich mich im Süden absolut nicht gefühlt und in den Metropolen eigentlich auch nicht.