Eine große Reise ohne lange Flüge, ich entdecke die Vorteile der Ziele, die als Mittelstrecke gelten. Zuletzt bin ich nach Mallorca von Leipzig geflogen, gefühlt fast ein Jahrzehnt her, nun geht
es also erstmal nach Istanbul. Da wollte ich im März 2020 hin, naja, es kam was dazwischen. Die Anreise kann ich auch beim besten Willen nicht spannend beschreiben, weil alles so unaufgeregt und
still (nicht still und unaufgeregt, da gibt es einen Unterschied) verlief. Der Zug von Magdeburg direkt zum Flughafen war pünktlich, am check-in war es wie am Busbahnhof, schön übersichtlich und
auch der restliche Teil des Flughafens ist einfach wunderbar klein und gemütlich. Auf geht's also ins erste von drei Ländern, 5 Tage Bosporus.
Und nachdem ich das schrieb, wollte mir der Reisegott wohl eine Lektion in Abenteuer verpassen. Wir bestiegen die leicht verspätete Maschine von Turkish Airlines, eine 737-800 MAX, ein Modell,
mit dem ich bis dato noch nicht flog, das auch gut so fand aber reflektiert genug bin ich schon, um zu wissen, dass ein Zulassungsprozess den Flieger als sicher einstufte. Während wir vom
Terminal zurückgestoßen wurden, erlebte ich die Vollbremsung meines Lebens. Das etwas nicht in Ordnung war, wusste ich sofort. Kurze Zeit später wurde uns vom Piloten in ausgezeichnetem Englisch
mitgeteilt, dass wir den Kontakt zum Push-back-Fahrzeug verloren hatten, frei rollten und als die Piloten das merkten, gingen sie voll in die Eisen. Wie schnell wird ein Flugzeug da sein, die
Triebwerke sind ja nicht mal an? Vielleicht 30 km/h? Wir standen sofort, einiges flog durcheinander und 15 Minuten später rollten wir zurück ans Terminal. Alle aussteigen, der Flieger wurde gute
zwei Stunden untersucht, weil während der ungeplanten Aktion die Nase in die Höhe ging und die Piloten einen tailstrike vermuteten (der Hintern des Flugzeugs berührt die Erde). Ich hätte das in
der vorletzen Reihe ausschließen können, aber safety first. Als dann feststand, dass wir fliegen, hatten 15% der Passagiere schon die Segel gestrichen und waren vom Flug zurück getreten. Das kann
man tun. Esra, die Stewardess im hinteren Teil, erzählte mir, dass sie und ihre Kollegin in der Zeit, als wir im Transit waren, ärztlich betreut wurden, sie denkt, sie hat sich den Arm gebrochen.
Die beiden Frauen saßen während Start und Landung in der letzten Reihe hinter mir (die war frei) und im Service wurden sie nicht gesehen, den absolvierten die beiden übrigen, offenbar gesunden,
Stewardessen allein. Was lehrt uns das? Immer anschnallen im Flieger, immer!!! Als wir Istanbul erreichten, war es Nacht geworden und der Flug hatte auch beim Landen noch was zu bieten. Wir
setzten 2 Sekunden mit den Rädern auf, um gleich wieder durchzustarten. Ich bin wahrlich niemand, der zu Panik neigt, aber selbst die beiden Stewardessen hinter mir sahen nicht entspannt aus und
wahrscheinlich schoss jedem durch den Kopf, dass der Flieger doch irgendeinen Schaden genommen hat. Der Pilot sprach wieder zu uns, Grund für das Durchstarten waren plötzlich wechselnde Winde und
im 2. Landeversuch klappte es dann auch mit der Landung. Der neue Istanbuler Flughafen toppt alles, was ich kenne an Größe. 20 Minuten rumgondeln in Madrid ist ein Kindergeburtstag gegen die
Zeit, die wir brauchten, um die Außenposition, die uns zugeteilt wurde, zu erreichen. Aber dann hat mich die Türkei sofort für sich begeistert: kurze Wege, die Immigration hat 20 Sekunden
gedauert und die Türkin wahr super freundlich, mein Taxi, das ich vorbestellt hatte, war da und nach wilder Fahrt erreichte ich mein Hotel in Sirkeci und fiel nur noch müde ins Bett. Ich komm
nicht gern nachts in einer fremden Stadt an, das ist, als landet man auf dem Mond, Man sieht nichts, kann sich nicht orientieren aber dafür ist es am nächsten Morgen meist besonders intensiv. Das
war es tatsächlich, das Frühstück wurde im obersten Stock serviert mit atemberaubenden Blick auf Hagia Sofia, Blaue Moschee und Topkapi-Palast. Dass es auch noch super schmeckte, es gab gleich
Muhamarra, gefüllte Weinblätter und Menemen - das türkische Shakshuka, schwarzen Tee, Simit und jede Menge Kleingebäck - himmlisch, ließ den Tag gleich gut starten.
Die Lage meines Hotels (Yasmak Sultan, für einen Spottpreis noch in Corona-Zeiten gebucht) machte es quasi unmöglich, nicht mit dem Topkapi-Palast zu beginnen. Der alte osmanische Palast mit vier
Höfen, der Kirche des göttlichen Friedens - Agia Irene, dem prachvollen Harem in dem man die Sultansgeschichten auf Schritt und Tritt spürt, ist nicht ohne Grund eines der Highlights Istanbuls.
Morgens kurz nach neun waren die Schlangen am Einlass kurz und vor allem der Haremsbereich war auf Grund des Tipps der türkischen Ordnerin am Eingang, gleich dorthin zu gehen, super menschenleer.
Halbstündlich änderte sich das, es wurden mehr und mehr Menschen, aber gut, es war Sonntag, das ist in der Türkei der freie Wochentag. Direkt neben dem Topkapi liegt die Hagia Sofia aber die
Schlange erinnerte mich an die vatikanischen Museen und so beschloss ich, die später anzuschauen, wieder ganz früh an einem anderen Tag. Es trieb mich also mit der Tram erstmal in die Neustadt,
um nach dem Mittagessen zu entscheiden, doch als nächsten den Basar in der Altstadt und Eminönü zu besichtigen. Da eine Fahrt, egal ob Tram, Metro oder Schiff, hier umgerechnet 40 Cent kostet,
kann man sich Planänderungen leisten. Der Basar ist schön, voller Menschen, je weiter man sich hineintreiben lässt, desto türkischer wird es, ich hab mich nie unwohl gefühlt und entgegen den
Medinas in Marroko war es auch ein Leichtes, wieder hinaus zu finden. Außer Essen habe ich nichts gekauft, ich reise mit 20kg für die nächsten vier Wochen, Gewürze kaufe ich in Tiflis. Tee trinkt
man hier wirklich an jeder Ecke und wenn man nicht dauernd die öffentlichen Toiletten nutzen möchte, die durchweg brauchbar und ordentlich sind, schränkt man sich dennoch besser ein. Am
Universitätsplatz demonstrierte eine Gruppe für Veränderungen im Iran, dessen Schicksal hier viel präsenter ist, die Süleymaniye-Moschee, die ich als Ziel ansteuerte, war auf Grund diverser
vorheriger ungeplanter Moscheebesuche dann zwar sehr beeindruckend, aber es reichte eigentlich schon mit Moscheen. Den Abend verbrachte ich im Spa des Hotels und am zweiten von drei Istanbultagen
ging es wieder zeitig los, Ziel: Hagia Sofia.
Die macht laut Reiseführer um neun morgens auf, dicke Lüge, um zehn öffneten sich die Tore. So stand ich 40 Minuten in einer länger und länger werdenden Schlange und übte Spanisch, denn gefühlt
ist halb Russland und ein Viertel der Spanischen Einwohner zurzeit in Istanbul. Hinter mir las eine Spanierin ihrem Freund den kompletten Reiseführer zur Hagia Sofia vor, ich verstand sie
wunderbar. Die 40 Minuten waren dennoch gut investierte Zeit, denn in die Hagia Sofia ging es mit Blockabfertigung. Ich war im ersten Stoß gleich mit dabei und da war der Innenraum, den man,
anders als in anderen Moscheen, auch als Nichtmuslim komplett besichtigen kann, noch verhältnismäßig leer. Wie am Tag zuvor im Topkapi, änderte sich das minütlich. Wer in Rom den Petersdom nicht
besichtigt, ist genauso ein Kulturbenause wie derjenige, der die Hagia Sofia auslässt. Das Gebäude atmet Geschichte und macht ergriffen. Nach dem Highlight kam der Spaziergang über das Hippodrom,
vorbei am Deutschen Brunnen, Ägyptischen Obelisken, der Delphischen Schlangensäule durch den altehrwürdigen Stadtteil Sultanahmet bis endlich ans Meer. Und dort gefiel es mir so gut, dass ich die
ganze Strecke bis Sirkeci lief um dort im bestbewertetsten Cafe einzufallen. Mein kleiner Lunch wurde ein ordentliches Menü, obwohl es frischgepressten Granatapfelsaft nicht gab und auch
Iskender-Kebab nicht zu haben war (beides meine Wahl), haben mir ein Orangensaft und ein Adana-Kebab gut geschmeckt, auf Kosten des Hauses gab es noch eine würzige Linsensuppe als Vorspeise und
Baklava sowie Tee als Nachspeise. Gestärkt ging es mit der Fähre auf den Bosporus, ich fuhr nach Üsküdar und als ich auf der asiatischen Seite ausstieg, war ich erstaunt von den Menschenmassen,
die an einem Montag im Februar dort das Bosporusufer bevölkerten, Die allgegenwärtigen Angler waren da, Familien, Freundeskreise. Ja, die Seite mutet konservativer an als die europäische, es
waren auch deutlich weniger Europäer zu sehen. Gen Süden lief ich bis Harem, immer mit Blick auf die Skyline von Istanbul, das war schön. Und nochmal 40 Cent kostete die Fähre zurück nach
Sirkeci, damit schloss sich der Kreis. Voller Eindrücke und mit sonnenbeschienenem Gesicht, wie ich gerade merke, geht Tag 2 in Istanbul zu Ende, ich schwimm noch ein wenig im Pool.
Mein Resümee zu Istanbul fällt schonmal positiv aus. Die Stadt hat mir sehr gut gefallen, auch wenn sie es nicht in die allerhinterste Ecke meines Reiseherzens geschafft hat. Das lag sicherlich auch an der Jahreszeit, im späten Frühling mit frischen grünen Bäumen und einer Tulpenblüte hätte sie wohl noch besser abgeschnitten. Den letzten Tag bei kühl-windigem Wetter nutzte ich für den Dolmabace-Palast. Der alte Topkapi-Palast war den Sultanen irgendwann nicht mehr schick genug und so zogen sie auf die Galata-Seite in einen monströs-pompösen Palast westlicher Art, der alle Stilelemente der osmanischen Kultur enthielt und schließlich den Untergang des Osmanenreichs nicht aufhalten konnte. Anschlussverwendung fand der Palast unter Atatürk teilweise als Staatssitz, der gute Mann starb auch in dessen Wänden und bekam einen Aufzug eingebaut. Von den überlieferten Sitten ließ man nicht ab, es gab immer noch einen Harem und auch Eunuchen, Wesire, Muftis und Sultansmütter mischten bis ins 20. Jahrhundert noch tüchtig in der kulturellen Welt mit. Die Lage dieses Palasts ist zauberhaft, direkt am Bosporus. Im Gegensatz zum Topkapi war auch der im Eintrittspreis inkludierte Audioguide brauchbar und so verbrachte ich gute drei Stunden in Prunk und Pomp der alten Tage, der sich jedoch schwer in Worte fassen lässt. Da das Fotografieren im Palast verboten war, muss eben jeder selbst hinfahren, um sich ein Bild zu machen. Danach nahm ich die Tünel genannte Standseilbahn rauf zum Taksim-Platz. Den kennt man noch von den Aufständen und Protesten in der letzten Dekade und das Neustadtviertel ist eher was für Istanbul-Kenner oder Wiederholer, warum der Tourist auf der anderen Seite absteigt, erschließt sich schnell. Dennoch war der Spaziergang eindrucksvoll. Eine Kaffepause mit türkischem Süßgebäck und Tee, eine Siesta (die aufziehende Erkältung lässt mich alles etwas ruhiger angehen) und dann konnte mein unruhiger Geist doch nicht nur die Annehmlichkeiten des Hotels genießen, ein Hotel kann ich überall auf der Welt haben, wer weiß, wann ich wieder nach Istanbul komme. Also ging es noch in die Yerewan-Zisterne, die man aus Bond-Filmen kennt. Ein Gewölbe über einem Wald aus Säulen, fantastisch illuminiert, gut besucht ohne lange Schlangen am Eingang (es geht alles zügig durch die Touristenattraktion, Erklärungen braucht es kaum) und selbst an den berühmten Medusenhäuptern Möglichkeiten um Fotos zu schießen. Da der Basar auf dem Rückweg kein Umweg war, nochmal volles Eintauchen und wieder war ich standhaft, auch, weil es wirklich viel Plunder gibt. Der Nachmittag beschloss mit einem Besuch im Spa, wobei ich nur die Sauna nutzte und am Abend gab es jede Menge türkische Küche im ausgezeichneten Restaurant über dem Hotel. Die Türken machen Gambas al ajillo mit Butter, das ist vielleicht schmackhaft. Aus Rücksicht auf Mitreisen verzichtete ich jedoch auf den ajillo.
Ja und dann ging alles schnell, effizient und unaufgeregt. Das Taxi zum auf der asiatischen Seite liegenden Flughafen Sabiha Gökcen hatte ich vorbestellt, es fuhr vor, als ich aus dem Hotel heraustrat. Man kann heute reisen, ohne was zu erleben. Das ist keine positive Feststellung. Da alles im Internet abläuft, redet kaum jemand mehr. Man bekommt die Nummer eines Agenten, der bei Problemen eingreift, der Fahrer kann gerade mal Hello!, Thank you! und Goodby! sagen. Ich hab drüber nachgedacht, dass diese Möglichkeit, wie uber, natürlich dazu führt, dass auch Menschen ohne viel Bildung einen Job bekommen, wahrscheinlich prekär, der gezahlte Preis lag weit unter dem, was die Taxifahrer in Istanbul verlangen. Deshalb hab ich ein gutes Trinkgeld draufgepackt. Aber man erfährt eben nichts mehr. Habe ich mich noch radebrechend mit dem Taxifahrer in Indien oder Griechenland, der auch nur wenig Englisch sprach, unterhalten, und immer irgendeine Information oder Erkenntnis mitgenommen, so ist das jetzt steril, aber eben effizient. Der Flughafen liegt weit draußen und der Verkehr war der Hammer, wir haben 90 Minuten gebraucht, 48 waren zuvor angegeben. Es kam dennoch kein Stress auf und der Flug ist diesmal nicht erwähnenswert, er war ausgebucht und leicht verspätet.
Die Einreise in Batumi verlief weniger effizient als in Istanbul, aber ich hatte wieder eine sehr nette junge Grenzpolizistin, die meinen Pass prüfte, als handele es sich um ein Giftbuch. Mit deutschem Pass ist man ja überall auf der Welt ziemlich privilegiert, aber als sie gar nicht mehr aufhörte, die Plastikseite in alle Richtungen zu drehen, um wirklich ALLE Sicherheitsmerkmale zu prüfen, fand ich das schon suspekt. Sie wurde auch erst danach gesprächig um mir mitzuteilen, dass das System sich gerade aufgehängt hätte und sie deshalb Zeit hätte. Puh. Von ihrer Deutschlandreise erfuhr ich dann auch noch, schließlich verabschiedeten wir uns lächelnd und ich betrat georgischen Boden. Meine Tasche kam sofort (juchu!), die Zöllnerin winkte mich am Scanner vorbei und deutete auf den grünen Kanal, es gab nur 2 Schilder an der berühmten Ankunftstür, auf einem stand mein Name. Dem alten Mann, der nach Nikotin roch, wie Frau Possehl (Leser, die die kennen, wissen, was ich meine, andere sollten Schlimmstes unterstellen) folgte ich, auch wieder ein aufs Notwendigste beschränktes Gespräch. Da hätte ich mehr rausholen können, aber ich war fasziniert wie ein kleiner Junge, als wir mit Karacho durch die Vororte von Batumi fuhren. So hatte ich mir die UdSSR vorgestellt, vor 40 jahren. Meine Mutter muss Vilnius kurz vor meiner Geburt genauso erlebt haben. Das hatte was. (Ich bereise das erste Mal eine ehemalige sowjetische Republik!) Im Hotel empfing mich die viel gepriesene Freundlichkeit der Georgier sofort, 3 Rezeptionisten kümmerten sich gemeinsam um mich und ich bekam ein Zimmer, wie gewünscht: oberster Stock, fern vom Lift mit Blick aufs Meer. Ich bin das erste Mal am Schwarzen Meer, das kann, so trübe wie es momentan ist, nicht wirklich reizen, aber ich empfinde das schon als besonders. Vom ersten Rundgang durch Batumi berichte ich später, jetzt gibt's Essen.
Die Schwarzmeerküste um Batumi (türkisch Batum) gehört zu den regenreichsten Gebieten dieses Fleckens Erde, denn direkt dahinter steigen die Berge bis auf 2.000 Meter an. Die im Reiseführer aufgeführte Niederschlagsmenge ist nur ein Bruchteil von der, die in Kolumbien im Jahr fällt, das schreckt mich nicht mehr. Natürlich regnet es heute und Batumi wird eine Stadt bleiben, die ich nur mit Regenschirm bereist habe. Das kommt mir nicht so ungelegen, da muss man bestimmte Dinge erst gar nicht angehen. Und so zog es mich auf einen gut zweistündigen Spaziergang durch das alte Batumi. Batumi ist nie zerstört worden, im Bürgerkrieg der 90er Jahre schlossen die Adscharen einfach ihre Grenzen und ließen den Rest des Landes kämpfen. Das tat und tut der Stadt gut. Auf gar keinen Fall muss man sie verklären. Aber sie ist ein spannender Mix aus Architektur der vorvorigen Jahrhundertwende, durchsetzt von sozialistischen Scheußlichkeiten. Trotz des Wetters und der alles anderen als perfekten, geleckten Infrastruktur fühle ich mich hier sehr wohl. Verständigung wird zusehens schwieriger, es erweist sich als sehr hilfreich, die Grundzüge des Russischen wieder anzuwenden, wobei insbesondere die Bildung des Imperativs schon oft Anwendung fand. Man ist hier recht direkt. :-) Beim Einkaufen kam die Erinnerung an die Bückware zurück, Tempotaschentücher gibt es aber nur einzeln, auf Nachfrage und es scheint eine exotische Ware zu sein. Die Stadt hat viel zu bieten. Am schönsten fand ich die Armenische Kirche (in der man nicht fotografieren durfte). Armenien wäre auch mal ein Ziel in naher Zukunft. Die zwei- bis dreigeschossigen Häuser mit ihren interessanten Balkonen sind teils wunderbar restauriert, teils richtig runtergekommen. Die Gentrifizierung schreitet voran, die ersten Marken, wie man sie auch in Europas Metropolen findet, stellen sich ein. Neben der armenischen Kirche war ich auch in der als Kathedrale bezeichneten Hauptkirche, welche Orthodoxie die für sich in Anspruch nimmt, kann ich gar nicht sagen. Auch diese gefiel mir und weil es einen Gottesdienst gab, blieb ich und nahm daran teil (wie immer in orthodoxen Kirchen stehend). Am meisten fasziniert mich ja an den Ostkirchen der liturgische Gesang, der kam nicht ganz mit DEM Kirchenerlebnis meines Lebens mit (Neujahrsgottesdienst im Lateran, auch eine Zufallsbegegnung), war aber sehr beeindruckend. Der Vorteil am Alleinereisen ist, dass man Pläne eben umschmeißt, wenn sich was ergibt und niemanden Fragen muss, ob man die nächsten 45 Minuten eben einfach mal dableibt. Standhaft blieb ich beim Shoppen, die Versuchungen waren groß, outdoor- und Sportanbieter gibt es reichlich und in den Schaufenstern wird mit großen Rabatten geworben. Aber mein Gepäck ist eh viel zu schwer und in Madrid shoppt es sich eh am besten, es kommen also noch Gelegenheiten und sicherlich auch Versuchungen, denen ich nicht nachgeben kann. Kulinarisch gibt es viele kleine interessante Erlebnisse. Da man Khinkali am besten in Gruppe ist, um möglichst viele Füllungen zu probieren, hab ich darauf verzichtet und dafür verschiedene Gebäcke probiert. Chatschapuri, das famose Käsebrot, ist sehr sättigend, das kann ich schon mal sagen. Aber es schmeckte auch ausgezeichnet.
Was ich noch nicht erwähnt habe, ist die nach Amerika hin erfolgte Entwicklung Batumis. Alle großen Hotelketten sind vertreten und wie in Vegas gibt's oben Hotel und unten Casino. Das wirkt sich inbesondere in der Nebensaison angenehm auf die Übernachtungspreise aus, überhaupt bin ich mit dem Preis-Leistungsverhältnis der ersten Tage sehr zufrieden. Da mir heute nicht nach Spa ist - ich hab reingeschaut und zu viele Kinder türkisch anmutend gesehen, die laut und vigilant waren - gibt es heute ein georgisches Bier und frühe Bettruhe, morgen kommt ein Highlight der Reise für mich, die Zugfahrt durchs Land nach Tiflis. Ich hoffe, ich sehe was, ich habe extra den Tagzug genommen um mir einen Eindruck vom Land zu verschaffen.
Zugfahren in Georgien ist effizient. Es gibt drei Klassen in nicht allen Zügen. Business, die beste Klasse, 1. Klasse und 2. Klasse. Von Batumi nach Tbilisi sind es 5 Stunden Fahrt, auf die Minute pünktlich rollten wir in der Hauptstadt ein. Die wundersamste Begebenheit auf der Zugfahrt war die Schaffnerin. Noch so eine richtige Schaffnerin, die Autorität ausstrahlt, wenn sie vorm Besteigen des Zuges an der Tür das Ticket kontrolliert. Auf der Fahrt selbst war sie um höchste Zurückhaltung bemüht. Sie servierte Kaffee oder Tee, alles erfolgte im Flüsterton und sie hatte eine unglaubliche Ähnlichkeit mit Christa Gebauer. Gang, Habitus, Aussehen, es hätte ihre Zwillingsschwester sein können. Zur Landschaft später mehr. Kaum auf dem Bahngleis in Tbilisi angekommen: "Taxi, Taxi?" Ich ließ die Traube der lästigen Anbieter erstmal abfallen, stellte mich etwas abseits, um dann von einem Georgier verhalten und überhaupt nicht aufdringlich angesprochen zu werden. Den wählte ich als Taxifahrer aus. Wir hatten jede Menge Spaß, denn ich hatte zwar den Standort des Hotels, das der Reiseanbieter für mich gebucht hatte, in einer App hinterlegt, die aktualisierte sich aber gerade nicht, laut App war ich immer noch in Batumi. Sämtliche Unterlagen brachten nichts, die Adresse des Hotels hatte ich nicht notiert und der Taxifahrer mühte sich sichtlich, auf der Karte der App den Standort zu erahnen. Irgendwann einigten wir uns auf Altstadt, ich erklärte, dass ich früher gut Russisch sprach aber heute kaum noch etwas verstehe, das Handy aktualisierte den Standort nach gefühlt 4 Fahrkilometern und der Taxifahrer kurvte elegant mit meinem Handy in der Hand bis vors Hotel. Nächstes Mal bin ich besser vorbereitet. Da die Gruppe erst am nächsten Morgen landete, hatte ich einen Nachmittag in Tiflis für mich allein. Es regnete, was vom Himmel runter wollte, gut, dass ich auf solches Wetter vorbereitet war. So zog ich regenfest los und ganz entspannt, denn Fotos konnte ich am nächsten Tag, wo gutes Wetter angesagt war, noch genug machen. Tiflis ist schön und hat Flair. Neben alter, teils stark baufälliger Substanz (das Erdbeben vor ca. 10 Jahren hat großen Schaden angerichtet) gibt es moderne Architektur, wie die Friedensbrücke, das (ehemalige) Konzerthaus und den umgestalteten Europaplatz. Alle Küchen der Welt sind vorhanden, georgisch gibt es in verschiedenen Qualitäten vom Edelrestaurant bis zum Touristenschuppen. Am meisten hat mich die Altstadt mit ihren steilen Kopfsteinpflastergassen, den alten Häusern und vielen Kirchen fasziniert und am liebsten mochte ich sie ganz still am Samstagmorgen sonnenbeschienen. Als kulinarisches Highlight muss ich einen Trdelnik erwähnen, den ich aus Prag kenne. Der hier war außergewöhnlich. Frisch gebackener Teig und tolle Füllung: Vanillepudding, Zimtapfelstückchen, Vanilleeis und Schokolade vereinigten sich zu einer köstlichen Kalorienbombe. Samstag am frühen Mittag traf ich dann auf die Gruppe und der männliche Reiseleiter Alex war eine weibliche Reiseleiterin Chatuna, die auf Studienreisen spezialisiert ist. Die hat uns in sechs Stunden mehr über die Geschichte Georgiens eingetrichtert, als wir erwartet hatten. Für den Rest der Gruppe, der schlaflos eine Nacht verbracht hatte, war es zuweilen anstrengend, ich fand sie super. Hoch über Tiflis gibt es eine Mutter Georgien Statue, ganz im Zeichen von Mutter Russland in Wolgograd, Mutter Armenien in Erewan ... Ein Vermächtnis der Sowjetunion. Überhaupt hat dieser sowjetische Barock - wie ihn die Reiseleiterin nannte - sich in der größten Stadt des Landes verewigt. Es gibt riesige Trabantenstädte mit Hochhäusern, wie sie auch in jeder russischen Stadt zu finden sind. Beeindruckend waren die Kirchen, die wir besucht haben, es gibt eine Moschee im Bädeviertel der Stadt. Tbilisi bedeutet warmes Wasser und die Schwefelquellen sind zu öffentlichen Bädern ausgebaut worden. Auch Juden gibt es in der Stadt, eine Synagoge ist zentral gelegen.
Nach diesem Stadttag ging es schließlich, erneut per Zug, nach Zugdidi. Das ist die letzte Stadt vor Abchasien, das zu Georgien gehörende Gebiet, über das Russland aber Autorität hat. Badeorte wie Suchomi kann man aktuell nicht bereisen, in Südossetien, einer Kaukasusregion, sieht die Situation genauso aus. Die Fahrt hatte viel Flair, in Gori - erster Halt des Zuges und Stalins Geburtsort - kamen fliegende Händler und boten Katschapuri, frisch gebackene Brote mit Käsefüllung, direkt am Bahnsteig an. Von allen in Georgien gegessenen Katschapuri waren das die besten. In Zugdidi stiegen wir dann in einen privaten Bus um. Mit Zwischenstopp am monumentalen Enguri-Staudamm ging es höher und höher in den Kaukasus. Die Strecke in die Berge besteht aus einer Straße, die sich über 200 km immer höher schraubt und echt abenteuerlich ist. Der Straßenzustand war für meine Augen noch ganz ok, aber Hangrutsche, umgefallene Bäume Steinschläge sind nichts für schwache Nerven. Morgens halb 8 ging es los in Tiflis, abends kurz vor 8 erreichten wir ein liebevoll geführtes Gästehaus in Betscho, das sich durch echt georgische Gastlichkeit auszeichnete. Eine praller gefüllte Tafel fanden wir auf der ganzen Reise nicht vor, der Tisch bog sich vor Essen. Es war nicht so bemessen, dass man es hätte überhaupt schaffen können. Guter Wein und Chacha, der georgische, hochprozentige Schnaps, gehörten jeden Abend in den Bergen dazu, teilweise gab es statt Wein auch Bier. In den fünf Tagen gab es tägliche Schneeschuhtouren. Am ersten Tag fand die bei wenig einladendem Wetter statt, einige Reiseteilnehmer mussten da schon ihre Komfortzone deutlich verlassen. Zusätzlich zu Alex, dem Reiseleiter, kam ein zweiter Alex, seineszeichens Swane, Sportskanone und hoffnungslos unterfordert mit den nur bedingt sportlichen Deutschen, dazu, der spurte und uns den Weg zeigte. Er hat alle kaukasischen Berge bis auf den Uschba bestiegen, das will er dieses Jahr angehen. Und dann zieht es ihn nach Nepal und Patagonien. Ich mochte ihn, er hat Träume. Die Gruppe mit Durchschnittsalter Ende 50 war sportlich gesehen durchwachsen. Ein älterer Herr und eine Mitreisende, die ich bis zum Ende der Reise nicht einschätzen kann, haben keines der Wanderziele erreicht. Nach meiner Meinung haben sich beide definitiv verbucht. Ich fand die Wanderungen insgesamt schön, bin von der letzten Schneeschuhtour deutlich sportlichere Herausforderungen gewohnt und vor allem fehlte mir etwas Technik. Egal ob bergauf oder bergab, wir liefen alles. Dass man mit Schneeschuhen auch Hänge hinabgleiten kann, war diesmal nur in Theorie bewusst. Der Kaukasus ist landschaftlich großartig. Steile Berge, dichte Wälder, wirklich richtig viel Schnee, als wir dort waren. Wir hatten laut Alex aber auch sehr viel Glück, der in Georgien an sich trockene Januar brachte den Bergen in diesem Jahr gar keinen Schnee, es schneite erst im Februar und während unserer Reise, als das Wetter besser und besser und vor allem sonniger wurde, taute es schon wieder ordentlich. In Erinnerung blieben mir eine Tour durch den Wald bis zur Gletscherzunge des Chalaadi-Gletschers, die Wanderung von Ushguli, dem höchsten dauerhaft bewohnten Dorfs Europas zum Wehrturm des Königs von Tamar. Tamar ist eine am Ende des 12. Jahrhunderts lebende Herrscherin, die zum Höhepunkt der Macht des mittelalterlichen Georgiens regierte und heute (wie damals) als König und nicht als Königin bezeichnet wird. Und dann war da noch die schweißtreibende Wanderung bei Kaiserwetter mit atemberaubenden Blick auf den Doppelgipfel des Ushba. Fairy Meadows, so ein Ziel für irgendwann mal, die Märchenwiese in Pakistan, liegt für mich definitiv in Georgien.